Veranstaltungs-, Kultur- und Kongresszentrum

Wiener Neustadt

Durchdacht und erfolgreich

Als einer von zwei Orten der niederösterreichischen Landesausstellung 2019 in Wiener Neustadt beeindrucken die „wiederbelebten“ Kasematten besonders. Beton spielt hierbei – gemeinsam mit den massiven Festungsmauern aus dem 12. Jahrhundert – eine herausragende Rolle.

Meist geraten Orte von ehemaligen Landesausstellungen rasch wieder in Vergessenheit. Nicht so die Kasematten, ein im 16. Jahrhundert als Waffenlager errichteter Gewölbebau an der südlichen Stadtmauer in Wiener Neustadt gelegen. Im Zuge der Revitalisierung für die Landesausstellung wurden zahlreiche archäologisch wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Die unterirdischen Räume mit ihren vorgelagerten Basteien und Ecktürmen dienten ursprünglich der Verteidigung der Stadt. Später wurden sie als Munitionslager, Luftschutzkeller und Bierlager genutzt, bis sie viele Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf gefallen sind. Der Umstand, dass die Kasematten jahrhundertelang unter der Erde lagen – was eine bessere Verteidigung ermöglichte – beschert heute bestens erhaltene Mauerteile wie ein Opus Spicatum, einzigartige Räume, z.B. die Strada Coperta, Schießscharten und viele Erkenntnisse über die Bauweise der damaligen Zeit. Für die Nutzung als Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum wurden die historischen Kasematten um Zubauten, insbesondere die Neue Bastei, erweitert. Der Vorplatz mit dem „Sitzmauerl“ und die Gewölberäume, die halb unterirdisch in Richtung der Altstadt verlaufen, fungieren nach der Landesausstellung als multifunktionales Veranstaltungs-, Kultur- und Kongresszentrum.

Ausgezeichnet

Die Begeisterung für die Kasematten ist international: Bei den 37. Architekturtagen im slowenischen Piran wurde die Neugestaltung anlässlich der Landesausstellung unter 47 Projekten aus zehn Ländern zum Sieger erkoren und das Architekturbüro Bevk Perovic mit dem Internationalen Piranesi Award 2019 ausgezeichnet. Die Begründung der internationalen Fachjury: „Das Konzept vereint das neue Gebäude erfolgreich mit dem alten. Dies wird erreicht, indem behutsam Wege durch die beiden Gebäude gewoben werden und durchdachte Größenverhältnisse entwickelt werden.“ Johannes Paar vom slowenischen Architekturbüro Bevk Perovic, der auch der Projektleiter war, freut sich besonders über die Auszeichnung: „Für uns ist es ein großer Erfolg, weil es für das Projekt viel Aufmerksamkeit auf fachlicher Ebene bedeutet.“ Landesausstellungen haben jeweils eine Aufwertung einer Stadt oder auch Region im Fokus. Doch Wiener Neustadt gelang hier ein großer Wurf. „Der Piranesi Award wird seit Jahrzehnten an die besten Architekturprojekte im zentraleuropäischen Raum vergeben, so eine Auszeichnung zieht auch weite Kreise über das Fachpublikum hinaus“, ist sich Paar sicher: „Es ist natürlich auch eine Auszeichnung für die Stadt und die Auftraggeber, weil hier eine große Qualität entstanden ist. Dieser Ort, der jahrzehntelang versteckt war, ist wieder ins Zentrum gerückt.“ Denn mit dem Vorplatz in der Bahngasse ist ein neuer öffentlicher Raum entstanden, der eine große Aufwertung und Bereicherung für die Stadt bedeutet und ganz nebenbei Kunst und Kultur der Bevölkerung zugänglich macht. Bei der Preisvergabe stand das „Bauen im Bestand“ im Fokus. Paar erläutert: „Wir wollten keine expressive Architektur hinsetzen, die sich selbst in den Vordergrund stellt, sondern die einen harmonischen Dialog mit dem alten Bestand und den Materialien eingeht.“

Wände und Böden aus Sichtbeton

Die historischen Mauern und Gewölbe der Kasematten werden ergänzt durch die Materialität von Sichtbeton der neuen, eingefügten Strukturen. Das Material Beton markiert alle neuen Elemente und Eingriffe, von den Neubauten bis zur Oberfläche des Kasematten-Pfades, der als neue Wegeführung durch die Kasematten zur Neuen Galerie und dem Café- und Gastronomiebereich leitet. Die notwendigen Ergänzungen des Bestandes in den Kasematten durch Elemente wie Fenster, Türen und Beleuchtung finden innerhalb bzw. entlang dieses Pfades statt und sind auf möglichst behutsame Weise an die bestehenden Ziegel- und Steinmauern „gelehnt“.

Der neue Bauteil der zur Hälfte in das Gelände abgesenkten „Galerie“ ist ebenfalls aus Beton errichtet. Eine prägnante Dachform, als Stahlbau-Leichtkonstruktion ausgeführt, sorgt mit fünf Lichtboxen für die indirekte Beleuchtung des Innenraums. Die Galerie ist als schlichte Sichtbetonhalle konzipiert, reduziert auf das Wesentliche. Von außen ist das Gebäude, ähnlich einem Vorhang, mit einer Fassade aus perforierten Wellprofilblechen aus Aluminium verkleidet.

Die Restaurierung der Kasematten und der Stadtmauer soll die Geschichte der Ver­änderung und der Nutzung nachvollziehbar machen und zugleich die ursprüngliche Raumwirkung wiederherstellen. Die Kasematten sind daher befreit von allen Einbauten, die keine historische Relevanz oder keinen baugeschichtlichen Wert aufweisen, seien es alte Kabeln, Heizkörper oder jüngste Ergänzungen wie Wände. Ausbesserungen und wichtige Fehlstellen bleiben hingegen klar lesbar und machen die Spuren der Zeit sichtbar und erlebbar.

Ein neuer Boden – eine rohe, sandgestrahlte Betonfläche – gleicht die unterschiedlichen Niveaus aus und zieht sich als einheitliches Material durch die Räume der Kasematten. Damit herrschen in den Kasematten wieder die bauzeitliche Großzügigkeit und ein erhabenes Raumgefühl, das die Bedeutung des Ortes unterstreicht.

Führungen durch diese unterirdischen Gewölbe bieten noch nie gesehene Einblicke in die Wehranlagen einer Stadt, bestens erhalten und mit einer unglaublich spannenden Geschichte durch viele Epochen wie die Zeiten der Habsburger, die Türkenbelagerungen, Angriffe aus dem Osten durch Matthias Corvinus und vieles mehr.

Im Zuge der Revitalisierung wurden die Kasematten um einen funktionalen Raum – die „Neue Bastei“ – erweitert, der gemeinsam mit dem Ensemble der alten, historischen Kasematten eine einzigartige knapp 500 m2 große Eventlocation für Kongresse, Veranstaltungen und Hochzeiten bildet. Mit Tageslicht und einem direkten Zugang in den Stadtpark punktet diese Location ebenso wie mit der perfekten zentralen Lage in unmittelbarer Bahnhofsnähe.

Projektdaten:

Bauherr: Stadtgemeinde Wr. Neustadt
Auftraggeber/Projektsteuerung: Landesausstellungs Planungs- Errichtungs- und Organisations GmbH
Architektur: Bevk Perović arhitekti
Tragwerksplanung: Fröhlich & Locher und Partner
ÖBA: Edelmueller|Architektur|Management ZT Gmbh
Baufirma: Granit Gesellschaft m. b. H.
Bauphysik: Hamp-Armbruster Bauphysik OG
Grundstücksfläche: 6.897 m²
Nutzfläche: 3.403 m²
Bebaute Fläche: 3.392 m²
Umbauter Raum: 33.244 m³
Material Neubau: Sichtbeton, Stahlbau, Stahlbeton
Fotocredits: © Stadt Wiener Neustadt/Weller