BMÖ-Sponsoring: Brutalismus-Ausstellung in Wien

„Rettet die Betonmonster!“ Mit diesem engagierten Aufruf lockt eine ganz besondere Ausstellung ins Architekturzentrum Wien (Az W). Die Zahl der Brutalismus-Liebhaber steigt wieder – auch deshalb, weil der Baustoff Beton in Österreich heute so beliebt ist wie wohl noch nie. Die Ausstellung kommt also gerade zur rechten Zeit. Und sie wird von Betonmarketing Österreich gesponsert.

Bei der klassischen Beton-Architektur gibt es in der Regel nur klare Positionen: Sie wird gehasst – oder sie wird von Herzen geliebt. In den letzten Jahren stieg die Zahl der Liebhaber wieder: Was noch vor kurzem als hässlich galt, wird plötzlich von vielen bewundert. So stellt sich heute die Frage, ob die vermeintlichen Bausünden der Nachkriegszeit vielleicht doch visionäre Wunderwerke waren. Die Ausstellung, die jetzt im Architekturzentrum Wien internationale Beispiele und österreichische Highlights zeigt, unterstützt natürlich die Sichtweise der Befürworter – und setzt sich für die Rettung der verbliebenen „Betonmonster“ ein.

Es waren Architekten um Charles-Édouard Jeanneret-Gris herum, der sich Le Corbusier nannte: Vor allem der Meister selbst sah den Baustoff Beton als einzig adäquates Mittel einer modernen Architektur. Damals war die Betontechnologie freilich nicht so weit wie heute, da Architekten zahlreiche Arten und Sorten von Beton einsetzen und über eine faszinierende Materialvielfalt verfügen. Für Le Corbusier galt ausschließlich der „rohe Beton“ – „béton brut“ nannte ihn der Mann aus der französischsprachigen Schweiz.

Osterkirche Oberwart, Burgenland. Foto: Friedrich Achleitner

Mit  „béton brut“ prägte Le Corbusier eine Epoche

So gab Le Corbusier einer ganzen Bauepoche den Namen: Brutalismus. Heute sind viele der Bauten aus jenen Jahren verfallen oder abgerissen. Brutalistische Architektur lässt sich ziemlich exakt datieren: Zwischen 1953 und 1979 entstand sie in aller Welt, häufig in direkter Verbindung mit sozialem Wohnungsbau, danach gab es nur noch vereinzelte Beispiele. Diese Architektur bot auch die Möglichkeit, schnell günstigen Wohnraum zu schaffen – viele Architekten verbanden aber einen hohen Kunstanspruch mit der Bauweise. Nur wenige Jahrzehnte später allerdings sah das Urteil anders aus: Die Betonbauten, die häufig das Stadtbild dominierten, wurden als überdimensionierte Bausünden verunglimpft, sie wurden dem Verfall preisgegeben oder gleich abgerissen.

Fritz G. Mayer, Fritz Wotruba, Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit, Wien 23, 1974–1976. Bild: Architekturzentrum Wien, Sammlung, Margherita Spiluttini

Und heute? Sind die wenigen Zeugen jener Zeit, die uns noch erhalten geblieben sind, akut bedroht. Auch in Österreich? Angelika Fitz, Direktorin des Architekturzentrums Wien, sieht diese Gefahr durchaus: „Allerdings scheint sich aktuell eine Trendumkehr in der Bewertung des Brutalismus abzuzeichnen“, sagt sie. „Auf der architektonischen Seite begeistert der rhetorische Umgang mit dem Material Beton, aus gesellschaftspolitischer Sicht der Wunsch nach gebauter Demokratie, der sich in vielen dieser Bauten spiegelt.“

Brutalistische Bauten: Zeugen der Demokratie

Beton als Grundpfeiler der Demokratie? Dass diese Sichtweise nicht aus der Luft gegriffen ist, belegt das Architekturzentrum Wien mit vielen Beispielen. Wobei gerade die architektonische und gesellschaftliche Relevanz dieser Bauten aus rohem Sichtbeton beleuchtet wird. Die Ausstellung macht deutlich, wie aus einer „Kann weg“-Haltung ein „Unbedingt retten!“ wurde. Aus dem Bewusstsein, dass hier – wenn auch von vielen ungeliebte – Architekturdenkmäler veschwanden, entwickelte sich eine Online-Initiative: #SOSBrutalism. Die Initiative versammlt mittlerweile über tausend Gebäude in einer Datenbank, die sich (leider nur in Englisch) unter www.SOSBrutalism.org findet und die auch einen zweiten Blick lohnt. Daraus wiederum entstand eine große Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt.

„Eigentlich ist der Brutalismus sowas wie Betonbarock.“ Oliver Elser, Kurator

Jetzt kommt die Ausstellung nach Wien, wofür sie um einen ausführlichen Österreichteil erweitert wurde. Nie zuvor waren Beispiele brutalistischer Architektur in so global gebündelter Weise zu sehen: Hier erleben die Besucherinnen und Besucher signifikante Beispiele aus Europa, den USA, aus Afrika und Asien. Besonders bedrohte Gebäude werden durch Markierungen hervorgehoben – ähnlich wie es bei Tierarten gemacht wird, die vom Aussterben bedroht sind. Angenehm ist dabei, dass ungewöhnlich große Modelle aus Karton und wahrhaft skulpturale Betonmodelle die Faszination der brutalistischen Architektur wunderbar verdeutlichen.

Glücksfall Wien: Az W mit eigener Sammlung

Wie überhaupt lässt sich Brutalismus heute definieren? Oliver Elser, Kurator des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, versucht darauf Antworten zu finden: „Das Zelebrieren der Rohheit, das ist der Moment, wo der Brutalismus ins Spiel kommt. Eigentlich ist der Brutalismus sowas wie Betonbarock.“ Dass die Ausstellung nun in Wien gelandet ist, zeigt sich durchaus als Glücksgriff. Denn das Az W verfügt über eine umfangreiche Sammlung, die einen fundierten Österreich-Schwerpunkt herzustellen vermag. So wird aus dem Vollen geschöpft: Gezeigt wird wirklich außergewöhnliches Originalmaterial – zeitgenössische Skizzen, historische Fotos, Pläne und Modelle, die nicht nur für Architektur-Fans von großem Interesse sind.

Norbert Heltschl, Internat Mariannhill, Landeck, Tirol, 1964. Bild aus der Broschüre: Das Internat Abt Franz Pfanner der Missionare Mariannhill, Wolfgang Pfaundler

Zehn einheimische Highlights

Zehn Bauten sind es, die symbolisch für den Brutalismus unserer Alpenrepublik stehen. Die Palette reicht von der ikonischen – und berühmten – Wotrubakirche in Wien-Liesing über den spektakulären Internatsturm in St. Pölten, den Karl Schwanzer erbaute und der leider schon verschwunden ist, bis hin zu einigen akut vom Abriss bedrohten Bauten. Dazu gehören Exponate wie das Kulturzentrum in Mattersburg oder das Kongresszentrum in Bad Gastein. Auch kaum bekannte Bauten dürfen in Wien noch einmal zeigen, was brutalistische Architektur kann – etwa das leider komplett überformte Internat Mariannhill im Tiroler Landeck, für das der kürzlich verstorbene Norbert Heltschl verantwortlich zeichnete.

Warum die wenigen Überbleibsel der Brutalismus erhaltenswert sind, dafür gibt es über die architekturgeschichtlichen Aspekte hinaus triftige Argumente. Sonja Pisarik, Kuratorin des Architekturzentrums Wien: „Im Grunde ist die Geschichte des Brutalismus ein großes Missverständnis. Viele lassen sich von seiner manchmal unheimlichen Präsenz abschrecken und bewerten ihn ausschließlich nach ästhetischen Kriterien“, so die Kunsthistorikerin, die auch Kulturmanagement studierte. Mit dieser Einschätzung steht sie nicht allein. Schon 1957, also vor der eigentlichen Blüte des Brutalismus, hatte sich das Architekten-Ehepaar Alison und Peter Smithson, das federführend bei der britischen Brutalismus-Variante war, öffentlich beklagt: „Bislang wurde der Brutalismus als Stil diskutiert, seinem Wesen nach ist er allerdings eine Ethik.“

Tatsächlich spricht aus den Bauten vielfach der Wunsch nach sozialem Aufschwung und einer gerechteren Gesellschaft – die Sehnsucht nach Städten, in denen der gesellschaftliche Austausch über alle Klassengrenzen hinweg funktioniert, wo der Solidaritätsgedanke beim Zusammenleben im Vordergrund steht. Kein Wunder also, dass viele kommunale Auftraggeber die Bauten errichten ließen: Schulen, Unigebäude, Krankenhäuser, Kulturzentren, Kirchen.

Beton-Architektur: Az W mit Vorreiterrolle

Schon 2012 trug das Architekturzentrum Wien maßgeblich zur Wiederentdeckung brutalistischer Architektur bei – mit einer Ausstellung und mit einer Datenbank: „Sowjetmoderne 1955–1991“ war da das Thema. Jetzt schließt das Az W an diese Arbeit an und trägt dem gesteigerten Interesse an der Architektur der 1950er bis 1970er-Jahre Rechnung, die sowieso einen wichtigen Platz in der hauseigenen Sammlung einnimmt.

Die Ausstellung kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Jetzt erreichen die Gebäude, also vierzig, fünfzig Jahre nach der Errichtung, ein kritisches Alter: Renovieren? Sanieren? Abreißen? An vielen Orten wird genau darüber diskutiert. Manchmal ist es schon zu spät, im Ausland wie in Österreich verschwinden immer mehr Zeugnisse brutalistischer Architektur. Der britische Architekt Owen Luder, der kurz vor seinem 90. Geburtstag steht, bringt die Entwicklung auf den Punkt: „In den Sechzigern haben meine Bauten Preise bekommen, in den Siebzigern Zustimmung, in den Achtzigerjahren hat man sie infrage gestellt, in den Neunzigern fand man sie lächerlich”, sagt er, „und als es auf 2000 zuging, waren die, die ich am meisten mochte, schon abgerissen.“

Jetzt, fast weitere zwei Jahrzehnte später, erleben viele brutalistische Bauten einen wahren Hype. Gerechtfertigt oder nicht? Die Ausstellung „SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“ lädt dazu ein, den Brutalismus neu zu bewerten. Vielleicht werden ja die letzten ihrer Art tatsächlich gerettet. Vielleicht können wir zum Beispiel auch davon profitieren, dass der Baustoff Beton heute ein besseres Image hat als noch vor wenigen Jahren. Woran Betonmarketing Österreich ja durchaus einen Anteil hat …

 


Fakten:
„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“
Ein gemeinsames Projekt des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung, um einen Österreich-Schwerpunkt erweitert vom Architekturzentrum Wien.
Kurator/innen: Oliver Elser/DAM; Österreich-Schwerpunkt: Sonja Pisarik/Az W
DAM Ausstellungsgestaltung: Rahlwes.Pietz
Az W Ausstellungsgestaltung: Peter Duniecki
Modellbau: Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Architektur

Artikel-Titelbild: Herwig Udo Graf, Kulturzentrum, Mattersburg, Burgenland, 1973–1976, Architekturzentrum Wien, Sammlung